10 Aug Mythen über Künstler:innen
(Ich verzichte im folgenden Beitrag der Lesbarkeit halber auf das Gendern, aber natürlich sind immer auch Künstlerinnen gemeint).
Warum haben es Künstler heute so schwer?
Es gibt vermutlich aktuell keinen Beruf, der so mystifiziert und gleichzeitig abgewertet wird, wie der des bildenden Künstlers. Eigenartige Vorstellungen ranken sich darum, Vorstellungen, die meistens jeglicher Grundlage entbehren, sich aber trotzdem hartnäckig halten.
Früher, als Maler oder Bildhauer noch Ausbildungsberufe waren, wusste man, dass man davon leben kann und auch, wie das funktioniert. Seit aber im 19. Jahrhundert die Fotografie die meisten Aufgaben der bildenden Kunst übernahm, hat sich auch das Berufsbild des bildenden Künstlers völlig verändert.
Aus der Not geboren entstanden Anfang des 20. Jahrhunderts eine ganze Reihe von neuen, experimentellen Kunstformen. Aus der Not geboren im doppelten Sinn, denn nicht nur die Fotografie hatte die Welt der Kunst verändert, und den Künstlern eine wichtige Einkommensquelle genommen, sondern die Weltkriege erschütterten die menschlichen Gesellschaften in einem unvorstellbaren Maß. Danach war nichts mehr so, wie es vorher war. Die bildende Kunst wurde mehr und mehr eine Möglichkeit, das innere Erleben auszudrücken, die abstrakte Kunst war geboren. Künstler entwickelten sich zu Seismografen der gesellschaftlichen Entwicklungen, sahen ihre neue Aufgabe darin, Missstände anzuprangern, gesellschaftskritisch zu arbeiten, eine neue Freiheit zum Ausdruck zu bringen, die vermeintlich keine Grenzen mehr kannte.
So sehr sich die Künstler damit vielleicht eine neue Identität geschaffen haben, so sehr haben sie sich aber im Laufe der Zeit auch damit eingeschränkt. Denn nun standen sie auf der einen Seite und ihre zahlende Kundschaft, die Gesellschaft, auf der anderen. Wer jetzt als Künstler Erfolg haben wollte, musste einen gewaltigen Spagat leisten: auf der einen Seite musste er die (zahlende) Gesellschaft verachten und dieser Verachtung in seinen (abstrakten) Arbeiten deutlichen Ausdruck verleihen, auf der anderen Seite musste er aber für das zahlungskräftige Publikum interessant sein, um von seiner Arbeit leben zu können. Und das gelang meist nur sehr wenigen.
Die anderen nahmen sich Vincent van Gogh zum Vorbild. Der integere Künstler, der lieber verhungert, als sich anzupassen, der zu Lebzeiten verkannt wird und für dessen Bilder nach seinem Tod astronomische Summen bezahlt werden, ist heute der Inbegriff eines „echten“ Künstlers. Viele, vor allem negative, Erwartungen sind deshalb an den Beruf des Künstlers geknüpft.
Was also sind die häufigsten Mythen, die sich um Künstler ranken?
1. Ein Künstler ist jemand, der den ganzen Tag Bilder malt oder Skulpturen herstellt.
Und wer das nicht tut, ist kein richtiger Künstler. Was für ein Unfug. Bildnerische Arbeiten, die aus dem Seelenbereich kommen, kann man nicht am Fließband herstellen. Sie basieren auf einem ständigen Entwicklungsprozess, der im Laufe eines (Künstler-) Lebens stattfindet. Genau wie in jedem anderen Beruf braucht es deshalb auch in der Kunst andere Routinearbeiten, mit denen man seinen Lebensunterhalt verdient. Als Künstler noch von Auftragsarbeiten lebten, hat sich niemand darüber mokiert, dass da jemand einen „Brotberuf“ hat. Wenn Sie also als Künstler Ihre Fähigkeiten nutzen und in irgendeiner Form kreativ tätig sind, ob als Maler, Designer, Grafiker, Dekorateur, Webdesigner, Fotograf, dann sind Sie trotz allem Künstler. Sie setzen Ihr Talent ein, um etwas Nützliches in die Gesellschaft zu geben. Das Gleiche gilt, wenn Sie andere im bildnerischen Gestalten unterrichten. Es ist Ihre Kunst, die Sie anderen weitergeben, Ihre Kompetenz, die anderen die Möglichkeit bietet, sich zu entwickeln. Freuen Sie sich, dass Sie mit Ihrem Talent nicht nur anderen eine Freude machen können, sondern damit auch Ihren Lebensunterhalt sichern. Warum sollten Sie sich selbst die Freude an Ihrer Arbeit verderben, indem Sie glauben, Sie wären jetzt aber kein richtiger Künstler? Sie definieren Ihre Arbeit, nicht die anderen.
2. Man wird als Künstler geboren – ist quasi von Natur aus weltfremd.
So unsinnig der Gedanke ist, so hartnäckig hält er sich. Dass Künstler häufig sensible Typen sind, die viel nachdenken, ist sicherlich wahr, dass sie ihren angeborenen Fähigkeiten und Neigungen nachgehen, ist auch wahr. Aber das ist auch in den meisten anderen Berufen so. Und dort wird das nicht mystifiziert. Die Entscheidung Künstler zu werden, ist genauso eine Berufswahl wie Schreiner, Arzt oder Ingenieur zu werden. Und Menschen, die nicht mit Geld umgehen können, gibt es in allen Berufen. Das liegt aber hauptsächlich daran, dass es ihnen niemand beigebracht hat. Da sollten wir über unser Bildungssystem nachdenken und nicht die Verantwortung auf angebliche Veranlagungen schieben.
3. Wirklich erfolgreich ist man als Künstler nur, wenn man möglichst weltweit bekannt ist und sehr viel Geld verdient.
Das ist vielleicht das hinderlichste Klischee überhaupt. In keinem anderen Beruf stellt man diesen Anspruch. Oder haben Sie schon mal gehört, dass Rechtsanwälte oder Erzieher nur dann als erfolgreich gelten, wenn sie weltweit bekannt sind und viel Geld verdienen? Solange Sie Ihr Auskommen haben und vor allem, solange Sie ein glückliches, erfülltes Leben führen, sind Sie erfolgreich.
4. Bildnerisches Gestalten kann man, oder man kann es nicht, deshalb kann man Künstler nicht mit normalen Maßstäben messen.
Ein weiteres völlig unsinniges Klischee. Es ist in der Kunst so, wie in jedem anderen Beruf auch: malen, zeichnen, gestalten kann man, muss man sogar lernen. Und genau wie in jedem anderen Beruf gilt auch hier: Übung macht den Meister. Oder was glauben Sie, warum hat Dürer zwei Lehren absolviert und ist viele Jahre auf Wanderschaft gegangen, um ein Meister zu werden? Auch Picasso, das Wunderkind, wurde von Kindesbeinen von seinem Vater, einem Zeichenlehrer, systematisch unterrichtet. Künstler erwerben sich ihre Kompetenz wie alle anderen Menschen auch. Und setzen sie ein, wie alle anderen Menschen auch.
5. Mit Unterricht im bildnerischen Gestalten verdirbt man die Kreativität.
Bei diesem Satz stellen sich mir regelmäßig die Nackenhaare auf. Diese Vorstellung stammt aus der Zeit der antiautoritären Erziehung, als man glaubte, Kinder könnten sich selber anleiten, wenn man sie nur ließe. Auch Picassos Aussage, er habe ein Leben lang gebraucht, um malen zu lernen, wie ein Kind, nährt diesen Mythos. Damit hat man den allermeisten Menschen in der Schule jegliche Freude am bildnerischen Tun verdorben. Mir ging das jedenfalls so. Uns wurde im Kunstunterricht ein Thema gestellt, aber die Techniken, es so umzusetzen, wie ich es gerne gekonnt hätte, gab man uns nicht an die Hand. Im Gegenteil, wer es nicht von alleine konnte, wurde als untalentiert abgeschrieben. Das war die Hauptmotivation für mich, später eine Kunstschule mit systematischem Unterricht zu gründen. Meine Kreativität – und das habe ich auch bei meinen Schülerinnen und Schülern so erlebt – hat sich tatsächlich erst dann richtig entfaltet, als ich über das nötige Handwerkszeug verfügte. Und Picassos vermeintlicher kindlicher Malstil war Ergebnis eines lebenslangen Entwicklungsprozesses und kann mitnichten mit dem Malstil eines Kindes verglichen werden.
6. Schöne Bilder sind gefällig, aber sie sind keine Kunst. Ergo sind Menschen, die schöne Bilder herstellen, keine Künstler, sondern „nur“ Kunsthandwerker. <
Ein weiteres Klischee als Überbleibsel aus dem 20. Jahrhundert, als die Abstraktion, die Gesellschaftskritik und das Auffallen um jeden Preis sich als Kunstform entwickelte. Nachdem sich diese Behauptung einmal bei den Menschen festgesetzt hatte, durften den Menschen schöne Bilder nur noch heimlich gefallen. Wer als Kunstkenner oder Künstler gelten wollte, musste diese Art der Kunst belächeln oder negieren. Lassen Sie sich davon nicht aufhalten, denn tatsächlich ist es heute sogar Gesellschaftskritik par excellence, schöne Bilder als Gegenentwurf zur gängigen Meinung herzustellen :).
Es muss Menschen geben, die Oasen bewirtschaften – meine persönliche Kunstform
Ich arbeite seit mehr als 20 Jahren als freiberufliche Künstlerin und habe, auch weil ich vier Kinder großgezogen habe, meine berufliche Arbeit immer wieder neu aufgestellt und meinen sich verändernden Lebensumständen angepasst.
Neben meinen gestalterischen Fähigkeiten macht es mir große Freude, Kunst zu unterrichten, ich liebe meine Familie und die Arbeit in der Natur. Als meine Kinder klein waren und mich viel brauchten, habe ich an der VHS unterrichtet und regional und überregional Bilder ausgestellt und verkauft. Auch meine künstlerischen Projekte im öffentlichen Raum, der „Traumpfad Magische Natur“ und der „Farbenwald“, waren von meiner Erfahrung als Mutter geprägt und hatten neben dem künstlerischen auch einen pädagogischen, bzw. psychologischen Anspruch.
Als die Kinder groß genug waren, habe ich einen alten Bauernhof im Dorf meiner Kindheit gekauft. Ich habe ihn in jahrelanger Arbeit in einen Ort verwandelt, an dem „das Leben, die Arbeit, die Liebe und die Kunst alles eins sind“, so wie Vincent van Gogh das mal als Anspruch an sein Leben formuliert hat.
Ich sehe meine Aufgabe als Künstlerin heute darin, diese Oase zu bewirtschaften. Ich male vorzugsweise schöne Bilder, weil ich glaube, dass es den Menschen guttut, wenn sie sich mit Schönheit umgeben. Der Garten rund um mein Haus ist als Lebensgarten gestaltet, und die Besucher können sich bei einem Rundgang Inspirationen für ihr eigenes Leben holen. Mein Atelier ist zugleich Unterrichtsraum und kann sich bei Bedarf in ein Café verwandeln, so dass Menschen den Raum auf vielfältige Weise erleben können. Unsere Scheune haben wir zu einer Galerie umgebaut, wo ich natürlich auch meine Bilder verkaufe. Daneben arbeite ich auch immer wieder als Autorin, schreibe Bücher und Texte. Von keinem der einzelnen Zweige könnte ich leben, aber alle zusammen sichern mir einen angenehmen Lebensunterhalt. Ich habe das nur erreichen können, weil ich diesen Mythen über Künstler nie Glauben geschenkt habe.