04 Dez Kunst und Dekoration sind kein Widerspruch
Warum für mich Kunst und Dekoration kein Widerspruch sind
Als ich vor vielen Jahren anfing zu malen, hatte ich eigentlich nicht die Absicht, Künstlerin zu werden. Ich hatte nur einen Wunsch: Ich wollte schöne Bilder für meine erste Wohnung, Motive, die mich persönlich berührten und Farben, die zu meiner Einrichtung passten.
Also machte ich mich auf die Suche. Da ich nur wenig Geld hatte, suchte ich zuerst alle mir bekannten Kaufhäuser ab. Die Bilder, die es dort in den Dekoabteilungen gab, fand ich allesamt furchtbar. Die gegenständlichen Bilder waren offensichtlich schnell und lieblos gemalt und sahen alle irgendwie ähnlich aus. Wie ich später herausfand, gibt es Werkstätten, wo solche Bilder in Fließbandarbeit hergestellt werden. Die andere Sorte Bilder, die es gab, waren Poster, sehr häufig abstrakt oder von der Motivauswahl her für mich völlig unverständlich.
Die Bilder, die mir gefielen, fand ich schließlich in Museumskatalogen. Wunderschöne, farbenfrohe, kunstvoll gemalte Arbeiten, mit Motiven, die mich inspirierten, die mich nachdenklich, traurig oder froh machten. Die Museumsdrucke waren damals unerschwinglich für mich, also blieb mir keine andere Wahl, als meine Bilder selber zu malen.
Gefällige Kunst ist Dekoration?
Ohne es zu wissen, war durch die Suche nach Bildern die Künstlerin in mir erwacht. Die Sehnsucht danach, eigene Schöpfungen zu kreieren, ließ mich nie wieder los. Auch wenn meine Bilder am Anfang ungelenk und kindlich aussahen, sie gefielen mir. Sie drückten aus, was ich sah und was ich fühlte.
Viel später, als ich längst Malen gelernt hatte und anfing, mich mit Kunstgeschichte zu beschäftigen, fand ich heraus, dass es in der Welt der Gegenwartskunst den Gegensatz Kunst und Dekoration bzw. Kunsthandwerk gab. Und dass, wenn man als Künstlerin etwas auf sich hält, man keine „gefälligen“ Dinge herstellt. Ich war betroffen, denn eigentlich sah ich mich damals schon als Künstlerin. Also probierte ich viele Dinge aus, und kam am Ende meines Weges doch wieder zu dem Schluss, dass ich ganz einfach schöne Bilder malen wollte.
Alles ist Kunst, jeder ist ein Künstler
Der viel zitierte Spruch von Joseph Beuys hat mir schließlich geholfen. Viele Menschen haben daraus abgeleitet, dass es für künstlerische Arbeit keine Regeln, keine Voraussetzungen, keine handwerklichen Fertigkeiten mehr gibt. Dass Kunst ist, was sich als Kunst definiert. Die Arbeiten sollten in erster Linie provozieren, auffallen, sollten mahnen, Handwerk spielte da keine Rolle mehr. Dadurch entstand in der Kunst eine grenzenlose Freiheit, die die gesellschaftliche Entwicklung natürlich widergespiegelt hat. Die Auflösung der alten Strukturen folgte auf dem Fuß und wenn ich unsere Gesellschaft heute mit der vergleiche, in der ich aufgewachsen bin, bin ich froh und dankbar.
Ver-antwort-ung ist gefragt
Doch diese grenzenlose Freiheit birgt auch die Gefahr einer völligen Verantwortungslosigkeit. Denn wenn alles erlaubt ist, warum soll ich mich dann anstrengen, warum soll ich dann nicht einfach tun, was ich will, ohne Rücksicht auf Verluste? An dieser Stelle ist Verantwortung der Schlüssel zum nächsten Raum. Jetzt bin ich als Individuum gefragt, meine eigenen Antworten zu finden. Die Kunst ist auch hier wieder ein Spiegel der Gesellschaft. Ich muss meine eigenen Regeln aufstellen, muss für mich selber verantworten, ob das, was ich tue, mir und den anderen weiterhilft, oder ob es mich begrenzt, mich in neue hinderliche Strukturen zwängt.
Dekoration ist Kunst
Ich wünsche mir, dass die Antwort, die ich mir selber gegeben habe, Ihnen auch weiterhilft. Die Gestaltung der Räume, in denen ich wohne, spiegelt nicht nur mich als Persönlichkeit wider, sie beeinflusst auch die Entwicklung, die ich zukünftig nehme. Deshalb ist für mich Dekoration Kunst. Je mehr Gedanken ich mir darüber mache, je sorgfältiger ich das Handwerk der Gestaltung ausübe, desto vielfältiger und intensiver ist die Inspiration, die ich aus dem Aufenthalt in meinen Räumen gewinne.
Was Kunst für mich ist
Vor vielen Jahren halt mich ein Freund gefragt, was für mich Kunst sei. Damals war ich noch nicht in der Lage, die Tragweite meiner Antwort zu ermessen, aber heute kann ich das auch aus meiner Lebenserfahrung heraus sagen: „Kunst ist für mich, was mich dazu bringt, ein besserer Mensch sein zu wollen“. Auch – und besonders – wenn es heißt, es anders zu machen, als alle anderen.