Die Aufgabe der Kunst im 21. Jahrhundert

Kunst hatte zu jeder Zeit in der Geschichte der Menschen die Aufgabe, Zeitströmungen wahrzunehmen, für andere sichtbar zu machen und neue Wege aufzuzeigen. Im 20. Jahrhundert war die Auflösung der Jahrhunderte alten kriegerischen Strukturen zentrales Thema. Damit verbunden war eine grundlegende Veränderung in der Sicht auf das Menschsein.

Wer Krieg führt, kann sich keine Gefühle erlauben.

Seelische Vorgänge, Gefühle, ganz besonders das Mitgefühl, waren bisher den Frauen vorbehalten gewesen. Jungen wurden schon in sehr jungen Jahren ihren Müttern entzogen, denn ein Mann der Gefühle entwickelte, hatte als Krieger keine Chance. Um in einer kriegerischen Welt bestehen zu können, waren alle Menschen, Männer und Frauen, gezwungen, ihre Persönlichkeit zu spalten: in eine „männliche“ mitleidlose Kriegerseele und eine „weibliche“ mitfühlende Frauenseele. Es verwundert nicht, dass sich damit eine Gesellschaft entwickelte, in der die Männer, die körperlich besser geeignet waren für Eroberungszüge, dominierten, und Frauen, die für die Aufzucht der Kinder besser geeignet waren, sich dominieren ließen. Beide Geschlechter spielten die ihnen zugewiesenen Rollen in diesem Kapitel der Evolution. Nur so konnte es der Menschheit als Spezies gelingen, sich erfolgreich über den ganzen Erdball auszudehnen und diesen immer mehr in Besitz zu nehmen.

Es gibt nichts mehr zu erobern.

Spätestens mit den beiden Weltkriegen begann sich abzuzeichnen, dass diese Eroberung zu ihrem Abschluss kommen würde. Wenn alles in Besitz genommen ist, gibt es nichts mehr zu erobern. Von nun an würde es darum gehen, sich in diesem begrenzten Raum einzurichten, ihn so zu organisieren, dass das Überleben der Menschheit gesichert würde. Die Einsicht begann heraufzudämmern, dass zur Erhaltung der Art nun die friedliche Koexistenz der Völker notwendig sein würde.

Kunst als Spiegel der menschlichen Entwicklung.

Die Kunst spiegelte diese Entwicklung in allen Facetten wider. Die früher streng geregelte Ausbildung zum Künstler wurde gesprengt. Die Zünfte und die Stände lösten sich auf, und mehr und mehr Künstler zeigten oder beschrieben menschliches Erleben aller gesellschaftlichen Schichten. Der 2. Weltkrieg bildete einen tiefen Einschnitt. Die gegenständliche, realistische Darstellung verschwand fast völlig, statt dessen versuchte man in allen Bereichen der Kunst über die Abstraktion das auszudrücken, was für alle so unfassbar war. Viele Künstler beschäftigten sich in dieser Zeit vorrangig mit Techniken oder der Gestaltung der Oberfläche.

Frauen erkunden die Innenwelt

In der Gesellschaft brachte das unglaubliche Leid, das die Menschen über sich gebracht hatten, einen Wendepunkt. Die Menschen begannen, sich ihrem Seelenleben zu beschäftigen. Es verwundert nicht, dass es diesmal vorrangig die Frauen waren, die dieses Wissensgebiet erforschten, oder Männern erlaubten, ihre Gefühlswelt zu erforschen. Sigmund Freud hätte seine Erkenntnisse über das Seelenleben ohne die vielen bereitwilligen Frauen, die ihm Auskunft über ihre geheimsten Gedanken gaben, nicht gewinnen können. Schritt für Schritt erkundete man nun die Welt des Bewusstseins und des Unbewussten. Die Erkenntnisse über die Art, wie Denken funktioniert, wie wir mit seelischen Erschütterungen umgehen, verbreiteten sich und machten die Forschung auf diesem Gebiet salonfähig. Die Erforschung der seelischen Erkrankungen gab nun zum ersten Mal den Blick auch auf die Verletzlichkeit der Männer frei. Die sogenannte New Age Bewegung, in der sich überwiegend Frauen mit spirituellen Fragen auseinandersetzten, brachte schließlich die letzte Bastion der männlich dominierten Welt zu Fall. Die Religionen, die bisher die Deutungshoheit über die Seele der Menschen für sich beansprucht hatten, wurden als Machtinstrumente enttarnt. Die Wirkweise der spirituellen Gesetze wurde über die sogenannte Selbsthilfeliteratur, obwohl von vielen bekämpft und lächerlich gemacht, für alle Menschen zugängig.

Auf dem Weg in eine friedliche Zukunft

Indem sich vor allem Frauen, aber zunehmend auch Männer, auf seelische Prozesse einließen, Methoden zur Bewusstseinsentwicklung erkundeten, entwickelte sich ein völlig neues Menschenbild und brachte damit eine in der uns bekannten Geschichte beispiellose Umwälzung in Gang. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind Frauen in vielen Bereichen des Lebens an die Seite der Männer getreten, und Männer erlauben es sich mehr und mehr, zu ihrer seelischen Verletzlichkeit zu stehen. Die Anregungen aus der New Age Bewegung finden vielerorts in die Therapie seelischer Erkrankungen Eingang.

Kunst als Therapie

Die Erkenntnis, dass man mit künstlerischen Mitteln innerpsychische Vorgänge sichtbar machen kann, gewann man aus der Betrachtung abstrakter Kunst. Was nicht in gegenständlichen Bildern ausgedrückt werden konnte, musste interpretiert werden, über Nachfragen beim Künstler verstanden werden. Diese Vorgehensweise übertrug man auf die Psychotherapie. Indem man Menschen dazu anregte, sich künstlerisch auszudrücken, konnte man über das Werk ins Gespräch mit dem Patienten kommen. Anfangs ging man hier wie gewohnt hierarchisch vor, indem der Therapeut die Deutungshoheit eines Patientenbildes für sich beanspruchte. Aber mittlerweile hat man erkannt, dass nur, wenn man dem Patienten die Deutungshoheit für sein Werk, und damit symbolisch auch für sein Leben, überlässt, ein authentischer Weg zur Heilung der die Seele gefunden werden kann.

Selbstverantwortung ist der Schlüssel zum Frieden

Auch überall sonst in der Gesellschaft beginnt sich die Überzeugung durchzusetzen, dass ein gesundes, glückliches Leben nur möglich ist, wenn ein Mensch sein Leben zu einhundert Prozent selber verantwortet. Das wird mit der Zeit auch dazu führen, dass auf allen gesellschaftlichen Ebenen flache, kreisförmige Führungsstrukturen entstehen, in denen jeder sich nach seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten einbringt. Erleichtert wird diese Entwicklung natürlich auch durch das Internet, diese weltweite Verbindung zwischen den Menschen, die allen Menschen den Zugang zu allen notwendigen Informationen jederzeit möglich macht.

Die Aufgabe der Kunst im 21. Jahrhundert.

Die Aufgabe der Kunst im 21. Jahrhundert wird vor allem darin bestehen, diese Entwicklung voranzubringen. Dazu gehört es zunächst, möglichst vielen Menschen einen Zugang zur künstlerischen Arbeit und damit zum non verbalen Selbstausdruck zu ermöglichen. Ebenso wichtig ist es zu lernen und zu lehren, wie man sich selber über diese Arbeit immer besser verstehen lernt und daraus wichtige Rückschlüsse auf das eigene Handeln ziehen kann.

Kunst als Spiegel

Meinen persönlichen Beitrag sehe ich darin, die Wirkung der Kunst als Spiegel zu dokumentieren: in Form von intuitiven Bildern, in erkenntnisorientierten künstlerischen Prozessen, aber auch in gegenständlichen Bildern, die meine Sicht auf die Welt zeigen. Eine Arbeit, auf die in diesem Zusammenhang besonders stolz bin, ist der Ost-West-Dialog, an dem ich seit mehr als 15 Jahren mit Roswitha Braun-Sauerstein, einer ostdeutschen Künstlerin arbeite. Jedes unserer Bilder, an denen wir jeweils abwechselnd, aber gemeinsam arbeiten, spiegeln einen intensiven emotionalen Prozess, und alle Arbeiten zusammen sind das Protokoll einer menschlichen und gleichzeitig gesellschaftlichen Entwicklung. Ich hoffe, damit viele andere Künstler und Nichtkünstler zu inspirieren, sich auf die Erkundung des Bewusstseins einzulassen und damit den Grundstein zu einer friedlichen Welt zu legen.